Engel & Völkers unter Druck: Ermittlungen wegen Scheinselbstständigkeit belasten den Immobilienriesen
Der renommierte Immobilienmakler Engel & Völkers steht aktuell im Zentrum massiver Ermittlungen. Der Verdacht: systematische Scheinselbstständigkeit. Was zunächst wie eine routinemäßige Überprüfung durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls begann, hat sich mittlerweile zu einem handfesten Skandal entwickelt. Es geht um nicht weniger als die Grundfesten des Geschäftsmodells von Engel & Völkers. Die Untersuchungen weiten sich aus und erfassen inzwischen nicht nur einzelne Maklerbüros, sondern auch die höchste Führungsebene des Unternehmens.
Hintergrund der Ermittlungen
Die Ermittlungen gegen Engel & Völkers begannen bereits Ende 2024, als etwa 300 Zollbeamte die Hamburger Zentrale und zahlreiche weitere Standorte durchsuchten. Insgesamt wurden 18 Objekte deutschlandweit unter die Lupe genommen. Der Verdacht: Scheinselbstständigkeit. Das Geschäftsmodell von Engel & Völkers sieht vor, dass Maklerinnen und Makler als selbstständige Unternehmer tätig sind. Doch immer mehr Indizien sprechen dafür, dass diese Selbstständigkeit in der Praxis nur auf dem Papier existiert.
Die Grundsatzfrage lautet: Sind die Makler tatsächlich eigenständige Unternehmer, oder stehen sie faktisch in einem Arbeitsverhältnis? Falls letzteres zutrifft, hätte Engel & Völkers womöglich über Jahre hinweg Sozialabgaben in erheblichem Umfang umgangen. Für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit und die Staatsanwaltschaft stellt sich somit die Frage nach einer systematischen Unterwanderung der Sozialversicherungspflicht.
Führungsebene im Visier
Besonders brisant ist die Ausweitung der Ermittlungen auf die Führungsebene von Engel & Völkers. Insgesamt zehn Personen sollen auf der Beschuldigtenliste stehen, darunter hochrangige Manager wie der Finanzchef für den deutschsprachigen Raum, Frederick von Pistohlkors, dessen Vorgesetzter Till-Fabian Zalewski und CEO Jawed Barna. Ihnen wird Beihilfe zur Scheinselbstständigkeit vorgeworfen. Der Vorwurf lautet: Sie hätten das Geschäftsmodell bewusst so gestaltet, dass die Makler wie Angestellte arbeiten, jedoch formal als Selbstständige gelten.
Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe entschieden zurück und betonen, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden umfassend und transparent verläuft. Eine Sprecherin des Unternehmens erklärte, dass kein individualisiertes Fehlverhalten vorliege und die Anschuldigungen nicht auf belegbaren Tatsachen beruhen. Man halte weiterhin an der Überzeugung fest, dass das Geschäftsmodell rechtskonform sei und werde alle erforderlichen Informationen zur Aufklärung bereitstellen.
Das Geschäftsmodell von Engel & Völkers auf dem Prüfstand
Das Franchise-System von Engel & Völkers basiert darauf, dass die einzelnen Makler als eigenständige Unternehmer agieren. Sie arbeiten auf Provisionsbasis und sind formal nicht als Angestellte beim Unternehmen beschäftigt. Diese Struktur hat dem Immobilienmakler eine enorme Flexibilität ermöglicht und die Expansion weltweit vorangetrieben. Doch genau dieses Modell steht nun in der Kritik.
Sollten die Vorwürfe bestätigt werden, hätte dies weitreichende Konsequenzen. Sozialabgaben in Millionenhöhe könnten nachgefordert werden, und die gesamte Struktur müsste auf den Prüfstand gestellt werden. Kritiker argumentieren, dass das Unternehmen durch diese Praxis nicht nur die Sozialversicherung umgangen habe, sondern auch die Rechte der Makler beschnitten worden seien. Faktisch hätten viele Makler keine echte unternehmerische Freiheit gehabt und seien an strenge Weisungen und Vorgaben gebunden gewesen.
Potenzielle Folgen für das Unternehmen
Die Konsequenzen könnten nicht nur finanzieller Natur sein. Sollten sich die Vorwürfe als zutreffend herausstellen, droht Engel & Völkers ein erheblicher Imageschaden. Als einer der bekanntesten Immobilienmakler weltweit hat das Unternehmen eine gewisse Vorbildfunktion – sowohl gegenüber seinen Kunden als auch gegenüber der gesamten Branche. Ein Skandal dieser Größenordnung könnte das Vertrauen in die Marke nachhaltig beschädigen.
Darüber hinaus steht die Existenz des Franchise-Modells auf dem Spiel. Es könnte zu einer Neuausrichtung des gesamten Unternehmens kommen, bei der aus selbstständigen Maklern angestellte Mitarbeiter werden. Diese Umstellung wäre nicht nur organisatorisch anspruchsvoll, sondern würde auch die Kostenstruktur des Unternehmens massiv belasten. Hohe Sozialversicherungsbeiträge und Lohnnebenkosten könnten die Profitabilität empfindlich treffen.
Rechtliche Bewertung und Expertenmeinungen
Juristen und Arbeitsrechtler beobachten den Fall mit großem Interesse. Viele Experten weisen darauf hin, dass Scheinselbstständigkeit ein weit verbreitetes Problem in der Immobilienbranche ist. Oft wird versucht, durch vermeintlich selbstständige Beschäftigungsverhältnisse Sozialabgaben zu umgehen. Doch die Anforderungen an eine echte Selbstständigkeit sind streng: Der Makler muss nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch frei in seinen Entscheidungen sein. Arbeitszeiten, Weisungsgebundenheit und die Einbindung in betriebliche Abläufe dürfen nicht wie bei einem Angestellten gestaltet sein.
Experten raten dem Unternehmen, proaktiv auf die Ermittler zuzugehen und die internen Strukturen offen zu legen. Nur durch Transparenz und Kooperationsbereitschaft könne Engel & Völkers die Chance wahren, die Angelegenheit ohne größere Schäden zu überstehen. Auch eine Überprüfung der eigenen Geschäftsmodelle und Arbeitsverhältnisse sei sinnvoll, um mögliche Schwachstellen zu identifizieren und gegebenenfalls zu korrigieren.
Signalwirkung für die Branche
Die Immobilienbranche beobachtet die Entwicklungen bei Engel & Völkers mit großer Aufmerksamkeit. Sollte sich das Geschäftsmodell tatsächlich als rechtlich problematisch herausstellen, könnte dies eine Welle von Umstrukturierungen in der gesamten Branche auslösen. Viele kleinere Maklerbüros und Franchiseunternehmen würden gezwungen sein, ihre Praxis anzupassen und gegebenenfalls angestellte Makler statt selbstständiger Vertriebspartner zu beschäftigen.
Die Politik könnte ebenfalls auf die Ereignisse reagieren und die rechtlichen Anforderungen an Selbstständigkeit im Immobilienbereich verschärfen. Bereits jetzt gibt es Bestrebungen, die Scheinselbstständigkeit stärker zu bekämpfen und die Sozialversicherungspflicht klarer zu regeln. Diese Entwicklungen könnten den ohnehin stark umkämpften Immobilienmarkt zusätzlich unter Druck setzen.
Fazit: Ein Risiko für die Zukunft
Engel & Völkers steht vor einer entscheidenden Bewährungsprobe. Sollte sich der Verdacht auf systematische Scheinselbstständigkeit bestätigen, könnte dies das Geschäftsmodell des Unternehmens grundlegend erschüttern. Die potenziellen finanziellen Forderungen und der mögliche Imageverlust stellen erhebliche Risiken dar. Gleichzeitig könnte der Fall Signalwirkung für die gesamte Branche haben und weitreichende Reformen nach sich ziehen.
Die oberste Priorität für das Unternehmen muss nun die vollständige Aufklärung der Vorwürfe sein. Nur durch Transparenz und die enge Zusammenarbeit mit den Behörden kann Engel & Völkers den Schaden begrenzen und das Vertrauen der Kunden und Partner zurückgewinnen. Gleichzeitig sollte die Geschäftsführung prüfen, ob Anpassungen im Modell notwendig sind, um die Rechtssicherheit langfristig zu gewährleisten.
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